Startseite Archiv Nachricht vom 10. März 2023

Tagung zum Neuen Geistlichen Lied: Singbar oder nicht?

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Loccum. Singbar oder nicht? Um die „Wirklichkeit des Neuen Geistlichen Liedes“ ging es jetzt bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum und des Liturgiewissenschaftlichen Institutes Leipzig. So viel vorab: Die Wirklichkeit ist vielfältig. Und es gibt Singbares und weniger Singbares. Aber das gilt auch für alte geistliche Lieder.

Das Neue Geistliche Lied, kurz: NGL, ist im deutschsprachigen Raum rund 60 Jahre alt und steuert somit stramm auf die Rente zu – könnte man meinen. Doch Til von Dombois, Popkantor in der Landeskirche Hannovers, hat inzwischen den Trend zum NGL 2.0 ausgemacht. „Brückenstücke“ nennt er diese neuen Lieder, bei denen christliche Botschaften vermehrt in das Gewand aktueller Popsongs gekleidet werden. Ging es bei den frühen Neuen Geistlichen Liedern um leicht mitsingbare und nachspielbare Melodien und Texte, die sich vor allem über die Kirchentage verbreiteten, so gebe es „seit etwa zehn Jahren eine immer größere Diversität“, sagte von Dombois vor rund 70 Zuhörenden aus dem gesamten Bundesgebiet.

In die Mühen der Statistik hatte sich die Literaturwissenschaftlerin Dr. Christine Schäfer von der Forschungsstelle Kirchenlied und Gesangbuch an der Universität Mainz begeben. Die drei am häufigsten in aktuellen Liederbüchern vertretenen Titel sind „Bewahre uns Gott“, „Wo Menschen sich vergessen (Da berühren sich Himmel und Erde)“ und „Meine Hoffnung und meine Freude“. Sie eint, dass sie eine klare Struktur mit vielen wiederkehrenden Elementen haben.

Kritiker haben dem Neuen Geistlichen Lied deshalb immer wieder eine Verflachung des musikalischen, theologischen und literarischen Anspruchs vorgeworfen. „Ich kann das nicht nachvollziehen“, sagt Professor Dr. Matthias Nagel, der viele Jahre Popularmusik an der Hochschule für Kirchenmusik Herford/Witten gelehrt hat. „Wenn ein Lied zu flach ist, wird es nicht lange gesungen werden. Oder wenn es flach ist und trotzdem gesungen wird, wird das seinen Grund haben.“ In der klassischen Hymnologie habe es das auch schon gegeben. „Stille Nacht“ zum Beispiel sei „vielleicht nicht flach, aber doch recht einseitig in seiner Bildsprache“. Trotzdem werde es gern gesungen.

Auch in Loccum gab es Wissenschaftler, die vor zu viel Kitsch im Kirchenlied warnten. Nagel hielt dem entgegen, dass Lieder immer auch noch eine andere Ebene als die Noten oder den Text haben. In welcher Situation sind sie entstanden? In welchen Momenten sind sie für Menschen wichtig geworden? Solche emotionalen Aspekte dürften nicht ausgeblendet werden: „Jedes Lied trägt ein Geheimnis in sich.“

In einem „Brief an die Generation NGL“ hielt der Kirchenmusikdirektor in der Evangelischen Kirche von Westfalen zwar fest, dass die neuen Lieder anfangs mitunter „barbarisch“ im Gottesdienst präsentiert worden seien, „ohne genaue Kenntnisse von Schall, Akustik, Lautheit, Arrangement, Singpädagogik von der Bühne aus“. Aber auch hier sei einiges in Bewegung – zum Positiven hin. „Wir sind mitten in einer Entwicklung“, so Nagel. „Wohin sie führt, wissen wir noch nicht.“

Lothar Veit / EMA