Klimaschutz versus Landwirtschaft?

Eine Landwirtin, ein Umweltschützer und ein Bischof im Gespräch über mehr Klimaschutz, weniger Fleischkonsum und eine enkeltaugliche Landwirtschaft

Anne-Dörthe Neumann, Vorstand im 68.000 Mitglieder starken Landfrauen-Verband in Niedersachsen. Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann und ihrer Tochter einen Milchviehbetrieb in der Nähe von Stade.

Lukas Held, Landesvorstand des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), BUND-Jugend Niedersachsen. Der Klimaschützer überreichte zusammen mit Fridays for Future bei der Veranstaltung der Hanns-Lilje-Stiftung, „Kann Kirche Demokratie?“, einen Forderungskatalog an die Landeskirche.

Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Er ist Mitglied der Kammer für nachhaltige Entwicklung der Evangelischen Kirche in Deutschland.

 

Frau Neumann, Sie sind im Vorstand der Landfrauen in Niedersachsen und betreiben mit Ihrem Mann und Ihrer Tochter eine Milchviehwirtschaft mit 175 Kühen. Die europäische Union hat ein Programm vorgestellt, mit dem die Landwirtschaft grüner werden soll. Der Deutsche Bauernverband spricht von einem Generalangriff auf die Landwirte in Europa. Fühlen Sie sich angegriffen?

Anne-Dörthe Neumann: Ich kann natürlich nicht für »die« Landwirte in Europa oder Deutschland sprechen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass viele Landwirte schon heute – ohne diese geplanten neuen Regeln – Probleme haben. Als Milchviehhalter haben wir bereits schwer an dem aktuell niedrigen Milchpreis zu tragen. Aufgrund der neuen Düngemittelverordnung steigen unsere Betriebskosten weiter. Wegen strengerer Umweltauflagen wird es zudem Ernteeinbußen geben. Dazu kommt der gestiegene bürokratische Aufwand, weil wir mehr dokumentieren müssen und mehr kontrolliert wird. Ich würde mich nicht beschweren, wenn wir für die Milch, die wir produzieren, anständig bezahlt würden. Aber das ist derzeit nicht der Fall.

Und der Klimaschutz?

Neumann: Für mich ist immer klar gewesen, dass alle in der Gesellschaft am Klimaschutz arbeiten müssen. Laut Landwirtschaftsministerium trägt die Landwirtschaft zu 7,4 Prozent an den klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in Deutschland bei. Viele Landwirte erzeugen selbst Strom mit Photovoltaik-Anlagen. Wir bewirtschaften Wald und forsten auf. Außerdem pflegen wir seit jeher die Landschaft. Und allzu oft wird vergessen, dass wir als Landwirte selbst vom Klimawandel betroffen sind, und das mit Ernteausfällen sofort merken. Auch wir haben ein Interesse am Klimaschutz.

Herr Held, Sie engagieren sich bei der BUND-Jugend und haben zusammen mit Fridays for Future im Frühjahr 2019 bei einer Veranstaltung der Hanns-Lilje-Stiftung in der Marktkirche einen Forderungskatalog an die Landeskirche überreicht, was treibt Sie um?

Lukas Held: Für meine Generation wird die gegenwärtige Wirtschaftsweise zu einem Existenzproblem. Wir müssen Angst vor unserer Zukunft haben. Daher ärgert es mich, dass nicht nur in der Landwirtschaft, sondern insgesamt in allen gesellschaftlichen Bereichen zu wenig getan wird, damit unser Klima für die nächsten Generationen noch erträglich sein wird. Wir müssen die Schäden schnell begrenzen und das Artensterben stoppen. Die Emissionen müssen wir möglichst schnell in Richtung Netto-Null bringen und klimaneutral werden. Die Zeit drängt.

Herr Meister, verstehen Sie die Ungeduld von Herrn Held einerseits und die Sorgen von Frau Neumann andererseits?

Ralf Meister: Ich habe große Sympathien für alle, die im Rahmen von Fridays for Future für ihre Anliegen auf die Straße gehen. Als Kirche haben wir schöpfungstheologisch die Verantwortung für die Erde, die Gott gehört. Dieser Verantwortung müssen wir Gestalt geben und danach handeln. Insofern benötigen wir eine konstruktive Ungeduld, um den Herausforderungen zu begegnen. Wenn wir uns auf unseren Erfolgen, die es zweifellos in Deutschland gibt, ausruhen und nichts tun, wird es bald keine Welt mehr geben, in der Menschen leben können. Gleichzeitig erlebe ich eine große Enttäuschung auf Seiten der Landwirtschaft. Viele Landwirte protestieren, weil sie Existenzängste haben. Aus Gesprächen mit Landwirtinnen und -wirten weiß ich, dass sie keinen Strukturwandel, sondern einen regelrechten Strukturbruch erleben. Vielen kleinen und mittleren Höfen droht in einem überschaubaren Zeitraum das Aus. Und das macht mir große Sorgen. Denn in Niedersachsen handelt es sich um viele Hundert, ja um Tausende Höfe.

Frau Neumann, haben Sie Zukunftsangst?

Neumann: Ja. Sehen Sie: In der Landwirtschaft leben häufig mehrere Generationen von einem Hof. Das sind zwei, manchmal drei Generationen. Bei einem Milchpreis von derzeit 27 Cent und womöglich bald 25 Cent pro Liter wird das für uns eng. Je weniger wir erlösen, umso enger müssen wir die Schrauben bei uns anziehen. Am Tier spart man nicht. Zumindest nicht bei den Bauern, die ich kenne. Milchkühe müssen jeden Tag gefüttert und gemolken werden. Sie müssen tierärztlich versorgt, ihre Klauen gepflegt werden. Das machen wir jeden Tag – auch sonn- und feiertags.

Sind die Ansprüche der Gesellschaft an die Landwirtschaft zu hoch? Umwelt schonen, günstige Milch produzieren, auf das Tierwohl achten und für eine schöne Landschaft sorgen?

Neumann: Oft wird so getan als täten wir das nicht oder hätten es nicht getan. Das machen wir Landwirte ja schon seit jeher. Und wir machen es gerne. Wenn wir zusätzlich all diese neuen Forderungen erfüllen und weiterhin unsere Leistung für die gesamte Gesellschaft erbringen sollen, können wir das nicht zum Nulltarif tun.

Herr Held, haben die Umweltverbände vor lauter Klimaschutz die Landwirte vergessen?

Held: Vielleicht haben wir sie nicht vergessen, aber viel zu oft haben wir es uns zu einfach gemacht.

Inwiefern?

Held: Auf einer Treckerdemo habe ich den Spruch gehört: Da wollen mir Nicht-Landwirte vorschreiben, was ich als Landwirt zu tun habe. Natürlich ist die Landwirtschaft ein emissionsintensiver Wirtschaftszweig. Wenn man da jedoch tiefer hineingeht, muss man sich dennoch fragen: Warum wirtschaftet ein Landwirt oder eine Landwirtin so wie er oder sie wirtschaftet? Mit diesen Fragen müssen wir uns beschäftigen.

Meister: Als Gesellschaft stellen wir einseitig Forderungen an eine über Jahrhunderte unsere Kultur prägende und Ernährung sichernde Landwirtschaft. Dabei ist es eine Verantwortung, die jeden betrifft. Wir können aber nicht über »die« Landwirtschaft sprechen oder sagen »die« Landwirte sollten dies oder das. Wir alle sind verantwortlich für die Nahrungsmittel, ihre Herstellung und ihren Preis. Wenn wir etwas verändern wollen, beginnt es nicht mit Forderungen, sondern mit eigenem Handeln.

Neumann: Was mich oft stört ist, dass die Menschen mehr Umweltschutz oder mehr Tierwohl einfordern, an der Ladentheke dennoch die billigen Lebensmittel auswählen, die keinen hohen Standard haben. Klar, einige kaufen Bio. Aber das Gros nimmt lieber das günstigste Fleisch. Das ist für mich ein Widerspruch.

Sind unsere Nahrungsmittel zu billig?

Held: Auf jeden Fall. Frau Neumann hat das ja anhand der Milch anschaulich geschrieben. Nahrungsmittel sind einfach zu billig. Sie sollten einfach einen höheren Stellenwert genießen. Wir brauchen ein anderes Bewusstsein in der Gesellschaft für Lebensmittel und mehr Wertschätzung für die Landwirtschaft.

Neumann: Früher, in den 1960er Jahren, mussten die Menschen in Deutschland noch ein Drittel ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben. Heute sind es nur noch rund zehn Prozent.

Gleichzeitig ist der Fleischkonsum stark gestiegen. Abgesehen von den billigen Lebensmitteln ist – aus Klimaschutzgründen – die Fleischproduktion ein riesiges Problem aufgrund der Futtermittelproduktion im Amazonasgebiet, wo Regenwald für Soja gerodet wird.

Meister: In der Tat. Wenn man sich den Fleischkonsum der Weltbevölkerung anschaut und die Steigerung der vergangenen Jahrzehnte, getrieben durch das Bevölkerungswachstum und den steigenden Wohlstand, ist klar, dass sich etwas ändern muss. Würde es genauso weitergehen, würde der Niedergang der Schöpfungsvielfalt in einer Geschwindigkeit erfolgen, die auch das Überleben des Menschen gefährden wird. Wir brauchen schnell einen Veränderungsprozess. Die Frage ist nur: Wie gestalten wir gemeinsam diesen Prozess?

Reichen Appelle und freiwilliges Handeln?

Neumann: Viele Landwirte haben Angst, dass – wenn das Fleisch in Deutschland teurer wird – die Verbraucher zu günstigerem Fleisch aus Südamerika greifen. Die EU hat bereits ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten in Lateinamerika ausgehandelt, das uns den Autoexport erleichtert und gleichzeitig den Import von Fleisch aus Brasilien oder Argentinien vereinfacht. Das wollen wir Landwirte nicht.

Meister: Das verstehe ich vollkommen, Frau Neumann. Der Markt wird es nicht richten. Davon bin ich überzeugt. Der Markt berücksichtigt weder die Umweltschäden der Fleischproduktion noch das Tierwohl. Seit 20 Jahren reden wir darüber, dass Lebensmittel teurer werden sollten: damit Ihrer Arbeit, Frau Neumann, und den Tieren, die uns als Nahrungsmittel dienen, wirkliche Achtung entgegengebracht wird. Aber: Der Markt reguliert das nicht.

Was schlagen Sie vor, Herr Meister?

Meister: In dieser Corona-Zeit erleben wir beides: Die Notwendigkeit staatlicher Interventionen und die hohe Eigenverantwortung von uns Bürgerinnen und Bürgern. Für eine Neuorientierung der Landwirtschaft benötigen wir beides: Klare Vorgaben, Leitlinien und Verantwortungsbewusstsein bei uns Verbraucherinnen und Verbrauchern. Wir benötigen Regeln, die das Tierwohl schützen, den Naturerhalt berücksichtigen und die Arbeitsleistung der Landwirtschaft honorieren. Manche Regeln werden den Landwirten nicht gefallen, andere nicht den Verbrauchern. Wenn sich etwas ändern soll, brauchen wir neue Regeln – und die Bereitschaft aller Beteiligten, diesen Weg mitzugehen.

Held: Ich finde gut, dass wir uns in der Runde einig sind, dass der Fleischkonsum global und vor allem in Deutschland viel zu hoch ist. Wir benötigen mehr Wertschätzung für tierische Produkte. Ob das jetzt die Politik machen sollte oder wir als Verbraucher, das weiß ich nicht. Der Staat könnte verstärkt Anreize schaffen, dass sich künftig mehr Menschen vegetarisch oder vegan ernähren. Damit es schneller zu einer drastischen Reduktion des Fleischkonsums kommt und wir zu einmal Fleisch pro Woche, dem Sonntagsbraten, zurückkehren.

Was denken Sie, Frau Neumann?

Neumann: In der Familie haben wir schon mal über einen Mindestlohn für unsere Arbeit bzw. einen Mindestpreis für Milch nachgedacht. Das ist jedoch etwas, was wir eher in weiter Ferne sehen. Wenn wir mehr Umweltauflagen bekommen oder noch mehr für das Tierwohl sorgen sollen, erwarte ich, dass uns die Gesellschaft dafür etwas zurückgibt. Zumindest aber, dass wir die Mehrausgaben oder die wirtschaftlichen Nachteile, die wir dadurch haben, ausgleichen können. Sonst wird das für uns zu einer Existenzfrage.

In Niedersachsen entstand auf Druck eines angekündigten Volksbegehrens für mehr Artenschutz ein runder Tisch mit Umweltminister, Landwirtschaftsministerin, Vertretern des Niedersächsischen Landvolks und der Umweltverbände NABU und BUND. Gemeinsam einigten sie sich auf ein Eckpunktepapier, wonach Landwirte, die Natur-, Arten- und Gewässerschutz leisten, künftig dauerhaft entlohnt werden sollen. Sie bekommen beispielsweise einen Ausgleich, wenn sie aufgrund des Gewässerschutzes wirtschaftliche Nachteile erleiden. Ist das prinzipiell ein Weg: Der Staat subventioniert den Wandel?

Meister: Was mich zunächst sehr freut, ist, dass wir trotz massiver Proteste auf beiden Seiten – von Umweltverbänden wie von Landwirten – den Gesprächsfaden in Niedersachsen nicht haben abreißen lassen. Wenn ich die Situation in der Landwirtschaft mit dem Ausstieg aus der Kohle vergleiche, wo wir den Strukturwandel oder Strukturbruch über zehn, fünfzehn Jahre in den betroffenen Regionen mit milliardenschweren Subventionen puffern werden, frage ich mich, warum wir das nicht bei der Landwirtschaft gleichfalls tun sollten. Immerhin geht es hier nicht allein um viele Tausende Höfe in Niedersachsen, sondern um unsere Natur, um unser aller Ernährung.

Neumann: Ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt und wir nicht immer gegeneinander arbeiten, sondern miteinander. Als Landfrauenverband begrüßen wir den »Niedersächsischen Weg«. Wie die Kirche, sehen wir uns da als Mittlerinnen zwischen den Fronten. Und das funktioniert gerade ganz gut.

Held: Als BUND-Jugend werden wir auf jeden Fall Werbung für diese Vereinbarung machen. Und wir werden genau darauf achten, dass die Vereinbarungen, zu denen sich die Teilnehmer verpflichtet haben, zu allgemeingültigen Gesetzen werden. In Zukunft gemeinsam nach Lösungen zu suchen, das wäre auch unser Wunsch.

Wie sieht für Sie eine zukunftsfähige, enkeltaugliche Landwirtschaft aus?

Held: Eine zukunftsfähige Landwirtschaft sorgt für unsere Lebensgrundlage. Sie produziert unsere Nahrungsmittel und zwar mit der Verantwortung, die Erde zu bebauen und zu bewahren. In meiner enkeltauglichen Landwirtschaft gäbe es viele kleine Landwirtschaftsbetriebe, die Kreislaufwirtschaft betreiben, in der Ackerbau und Viehzucht nebeneinander stattfinden. Das Höfesterben wäre gestoppt, Familienbetriebe könnten weiter existieren. Kein Landwirt stünde mehr vor der schwierigen Entscheidung, seinen Betrieb massiv zu vergrößern, zulasten der Umwelt und des Tierwohls, um ökonomisch weiter wirtschaften zu können. Voraussetzung wäre, dass wir uns alle anders und kreativer ernähren, weniger Lebensmittel verschwenden, viel weniger oder gar kein Fleisch essen.

Neumann: Ich greife mal Ihren Vorschlag des kleinbäuerlichen Familienbetriebs auf, Herr Held. Für meine Enkel würde ich mir wünschen, dass sie Angestellte und dadurch mehr Freiräume haben. Dass sie mehr als vier oder sieben Tage Urlaub machen können im Jahr – und so am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das setzt jedoch eine gewisse Betriebsgröße voraus, ohne die dies und auch zukünftige Investitionen nicht möglich wären.

Meister: Meine große Hoffnung ist, dass wir die Trennung zwischen der Landwirtschaft da und den Verbraucherinnen und Verbrauchern hier, die sich in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat, wieder auflösen. Das setzt voraus, dass wieder stärker regionale Kreisläufe etabliert werden. Als Kirche können wir helfen, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Für meine Enkel wünsche ich mir, dass sie an der Landwirtschaft lernen können, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur aussieht, der zugleich wirtschaftlich ertragreich ist, um Familienunternehmen in die Urenkelgeneration zu führen.